• David Vandeven
  • Montag, 27. April 2015

Manifest des Unternehmers - Teil 2

Manifest des Unternehmers - II

 

 

Die Macht des Wissens

Ein Tag verging. Ein zweiter. Und auch am dritten Tag war der Mann noch voll der Überzeugung, sein Leben zum Glück seines Weibes auszurichten. Doch musste er sich dafür erst einmal in die Lehre begeben.

„Nun, mein Eleve, Lernen ist ein Prozess, den ich nur anregen, aber niemals vollenden kann. Ich werde dir die Fakten beibringen, doch dein Wissen muss aus weit mehr bestehen als Theorie“, begann die Alte die erste Unterrichtsstunde.

„Du musst die Theorie auch sehr gut anwenden können, damit du deine Frau vor dem unstillbaren Hunger bewahren kannst. Zum einen musst du lernen, dass gegen den Hunger nicht nur das eine Kraut gewachsen ist. Der unstillbare Hunger ist im Sommer schwächer als im Winter, so musst du mit seiner wachsenden Kraft die Anwendung des Krautes modifizieren. Du musst deine Frau beobachten, schauen, wie sie sich vor, während und nach dem Genuss des Krautes wandelt. Die Weiber sind ein launisches Volk. Was ihnen heute mundet, lässt sie morgen würgen. Darum musst du das Kraut der Psyche deiner Gefährtin anzugleichen wissen.“Der Mann staunte nicht schlecht. Er hatte gedacht, er lerne nun, wie und wo man das Kraut erntet, und könne damit den unstillbaren Hunger auf ewig in Schach halten. „Es genügt nicht, dass du dein Fach beherrschst. Du musst damit auch deine Zielperson zu fangen wissen“, sprach die Hexe, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Aus einem zimmerdeckenhohen Schrank zog sie ein dickes Buch. „Botanik“ stand darauf. Sie klatschte dem Mann das Kompendium mit einem lauten Knall vor die Nase. Der Mann verzog sein Gesicht zu einer einzigen Frage. „Ich will doch nur wissen, wie es sich mit diesem Kraut verhält! Weshalb muss ich dafür gleich die ganze Botanik studieren?“, rief er und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Alte kicherte. „Nun, du musst erst das große Ganze verstehen, um dem Kleinen auf die Spur zu kommen. Oder wusstest du, dass unser Kraut, wenn es unter einer Trauerweide steht, ungenießbar wird? Also musst du wissen, wo Trauerweiden wachsen. Und schon lernst du, dass du den Fischfang und das Kräutersuchen nicht in einem Gang wirst erledigen können, weil? Ja weil die Trauerweide vornehmlich in Gewässernähe wächst.“

Der Mann fühlte sich verhöhnt. Die Hexe schlurfte leise schnarrend aus dem Zimmer. Es verging eine Stunde, ohne dass sie sich wieder blicken ließ. „Welch‘ eine Farce!“, dachte der Mann. Was hatte er sich da nur eingebrockt?

Endlich schlich die Alte wieder heran. „Nanu? Noch keine Seite des Buches hast du gelesen?“ Der Mann seufzte. „Ach, Jungchen! Um deine Sache zu erfüllen, musst du freilich auch Eigeninitiative zeigen! Hab‘ Neugier! Denke an dein großes Ziel! Und wenn du sie noch nicht besitzt, so musst du eben auch die Wissbegierde erst einmal lernen. Wir leben in einer Welt, in der man kämpfen muss, auch um die Vielfalt des Geistes! So nimm‘ das Buch und lerne, lerne, lerne! In sieben Tagen sehen wir uns wieder!“, sprach sie und verschwand von einer Sekunde auf die andere.

Der Mann blickte sich ratlos um. Sieben Tage? Wie sollte er in so kurzer Zeit dieses ganze Buch durcharbeiten? Wie durch Magie tat sich vor seinem geistigen Auge das Bild seiner vom unstillbaren Hunger erfassten Geliebten auf. Schwach, mit mattem Glanz im Haar haderte sie in ihrer Bettstatt mit ihrem Leben.

Der Mann griff das Buch, tat es in seinen Lederbeutel und verließ die Hütte der alten Kräuterhexe. Tagein, tagaus studierte er die botanischen Lektionen, tauchte tief in die Welt der Flora ein. Er dressierte seinen Hahn, dass er bereits eine Stunde früher krähte. Während der Mann das Feuer entfachte, zählte er dem Hund die Krautsorten auf: „Gekielter, bekrönter, gezähnter, wollfrüchtiger, gewöhnlicher, gefurchter und Zwergfeldsalat“, säuselte er vor sich hin. Jeden Morgen lag ein Bündel des Krautes vor seiner Haustür, offenbar ein Motivationsgeschenk der Hexe, schließlich blieb der unstillbare Hunger weiterhin aus.Bald schon nahm er sein Wissen mit hinaus in die Natur und erkundete auf eigene Faust die Wiesen und Felder, Haine und Lichtungen, entdeckte hier und da ein Kraut, kam ganzen Kräutersiedlungen auf die Spur und erntete bereits die ersten Halme selbst. Er genoss das Gefühl, nun nicht mehr allzu sehr von der weisen Kräuterfrau abhängig zu sein. Das neue Wissen verlieh ihm eine nie dagewesene Macht.

Nach sieben Tagen begab er sich wieder auf den Weg zur Hexenhütte. Die Alte erwartete ihn bereits mit einem riesengroßen Kochlöffel. „Nun, Lehrling, ich habe dich beobachtet und wohl gesehen, dass du des Grundlagenwissens mächtig bist. Zeit, die zweite Lektion zu beginnen.“

Es dauerte viele Monate, bis der Mann sicher in der Kräuterkunde war, die Pflanze richtig zu schneiden, zu putzen und zu zupfen wusste. Auch in der Zubereitung des Krautes unterwies ihn die schlaue Hexe. Er lernte so viel, wovon er zuvor noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Die Hexe hatte einen magischen Spiegel, durch den sie ihrem Schüler das Bild seiner Frau zeigen konnte. Wie schön sie geworden war! Mit jedem Tag blühte sie mehr und mehr auf. Der Mann hatte ihre Gewohnheiten genauestens beobachtet. Es gab Momente, da das Hungermonster zu erstarken drohte, doch der Mann wusste genau, wodurch er es zähmen konnte. Schon eine kleine Prise Salz wirkte wahre Wunder.

Doch trotz allen Wissens schaffte es der Mann nicht immer, genug Krautvorrat anzusammeln. Viel zu oft verzettelte er sich bei anderen Dingen. „Ich wünschte, der Tag hätte mehr Stunden, damit ich all meine Arbeit schaffe!“, seufzte er der Hexe entgegen. „Nicht der Tag ist dein Problem, sondern das Problem ist dein Tag. Du musst nun auch lernen, ihn besser zu organisieren.“

 

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Eigne dir alles Wissen an, welches erforderlich ist, um deine große Sache zu vollenden.

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Bildquellen: © Michaael Appelt / Michael Appelt - Detailangaben zu den Bildquellen

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